Die Nacht war erholsam. Die Hütte muss noch auf Vordermann gebracht werden und dann muss ich mich entscheiden: Warten, bis das Gewitter vorüberzieht, evtl. einen weiteren Tag auf der Hütte verbringen oder sofort aufbrechen?
Aufräumen
Zu spülen gibt es nicht viel, weil ich mein eigenes Geschirr benutze und nur einen Wassertopf aus der Hütte gebraucht habe. Die Asche sollte aus dem Ofen geräumt werden und neues Wasser in Eimern für die nachkommenden Gäste geholt werden.
Ein wenig durchfegen, die Formulare ausfüllen, noch etwas ins Hüttenbuch schreiben, den Rucksack packen und dann – überlegen.
3 Wanderer, 3 Pläne
Kristian kommt aus der anderen Hütte zu uns. Er hat in seinem Radio dem Wetterbericht gelauscht. Im Grunde sind wir umzingelt von einer Großgewitterlage. Doch ab 15h soll sich Alles entspannen. Kristian geht also erst ab 15h los. Und Renée? Sie hadert noch – Ruhetag oder weitergehen. Sie will schließlich auch weitergehen, weiß aber noch nicht wann.
Und ich? Ich bin wanderbereit und gehe jetzt los. Das heutige Tagesziel für uns 3 lautet: Granbustøyl. Die norwegischen Wanderkarten geben Wanderentfernungen in Stunden an. Sie sind sehr sportlich gewählt, vielleicht eine reine Wanderzeit ohne Pausen und ohne schweres Gepäck? 6 Stunden bis Granbustøyl. Es gibt allerdings auch eine Kilometerangabe: Für heute sollen es 18km durch die Austaheiane werden.
Dschungelwetter
Ich gehe ohne Regenjacke los. Ich trage meine dicken Sealskinz-Socken, darüber die Zpacks-Gamaschen, die Hose ist bis zu den Knien hochgekrempelt. Dazu meine Brynje-Netzunterwäsche. Die feuchte Luft steht, das Wasser am Boden auch.
Das Streckenprofil zeigt zwar, dass es ständig auf und ab geht, jedoch gemäßigter als vorgestern. Ich bewege mich den ganzen Tag zwischen 600 und 800 Metern Höhe. Also im Baumgrenzbereich der Austaheia.
Gewittergrollen von allen Seiten
Ich bin kaum eine Stunde unterwegs und bereits nassgeschwitzt. Ohne Wind, unter Bäumen durch, bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit, fühlt sich die Sache bereits sehr anstrengend an. Die sumpfig-nassen Passagen sind ebenfalls tiefer und länger als vorgestern. Ich habe gerade einmal 2km geschafft, als sich Thor das erste Mal krachend meldet.
Auf Höhe des östlich liegenden Trongedalsnuten (929m) ist das Gewitter nur noch einen Kilometer entfernt. Die Schleusen öffnen sich schließlich, es fallen riesige Wassermassen vom Himmel. Ich habe meine Regenjacke inzwischen an, den Regenrock übergezogen und den Schirm an meinen Rucksack geklippt. Ohrenbetäubend laut ist es darunter – und wunderbar trocken.
Die Wege entlang der Seen ziehen sich in die Länge. Sagte ich Wege? Zuweilen habe ich das Gefühl, an einer Schnitzeljagd teilzunehmen. Nach jeder gefundenen Markierung bleibe ich stehen und halte nach der nächsten Ausschau. Eine mental energieraubende Angelegenheit.
Lediglich Wegführungen über die Bergspitzen, also heute nasses und glattes Gestein, sind gut markiert.
Wer will wattwandern?
Der Regen kommt nun mit mit leichtem Wind von hinten, die angenehmste Richtung beim Wandern.
Das alles hilft nur wenig gegen die Wassermengen von unten. Bis zur Wade reicht es bei mir. Nach jedem Schritt ziehe ich den Fuß mühsam wieder heraus, setze den nächsten Schritt. Selbst im Wattenmeer schmatzen die Schritte nicht annähernd so vielschichtig wie hier. An den „schlimmsten“ Stellen sind Bohlen ausgelegt. Die sind heute rund 15cm unter Wasser. Wie schön, ich sinke hier nicht ein.
Langer Kamm und das Ziel
Hinter Klovsteinen geht es nochmals durch sumpfiges Terrain. Die Abstiege von den felsigen Gipfeln mit hübscher Aussicht hinunter sind kurz und sehr steil.
Danach kann ich über einen langen Felskamm wandern, bevor die letzten Kilometer nochmal was für echte Sumpfliebhaber sind.
Nach knapp 8 Stunden ohne große Mittagspause ( insgesamt vielleicht 45 Minuten, was sehr wenig für mich ist) komme ich schließlich am frühen Abend ziemlich erschöpft an. Ich spüre deutlich die fehlende, große Mittagsmahlzeit, die ich durch die Verdreifachung der Zwischenmahlzeiten auffangen wollte.
Ich mache Feuer, hänge die Sachen zum trocknen auf, koche und hänge einfach ab, ganz leer. Schließlich erreicht Renée die Hütte, die es in rund 10 Stunden geschafft hat. Kurz danach steht auch schon Kristian in der Hütte – in gut 6 Stunden hat er die Etappe abgerissen. 3km/h Tempodurchschnitt in diesem Gelände! Er ist völlig platt, macht sich schnell was zu essen und geht direkt ins Bett.
Wie geht es weiter?
Die Hüttenabstände sind in diesem Gebiet zwischen 16km und 22km. Meine geplante Tageskilometerleistung liegt jedoch höher. Deshalb war die Idee, nach einer Hüttenübernachtung an der nächsten vorbeizulaufen und nach einigen Kilometern zu zelten. Danach könnte ich an der nächsten Hütte wieder vorbeiwandern und die übernächste wieder nutzen:
Hütte (ÜN) – Hütte (liegenlassen) – Zelt (ÜN) – Hütte (liegenlassen) – Hütte (ÜN)
Die Bedingungen machen mich 20% langsamer. Bei der aktuellen Wetterlage finde ich aber auch keinen Zeltplatz, bei dem ich nicht innerhalb von 10 Minuten absaufe. Und schließlich schleppe ich mein gelbes Neoair-Kamel (defekte Isomatte) über die Berge. Bei nächtlichen Temperaturen um 3 Grad kann ich deshalb meinen Plan momentan ohnehin nicht umsetzen. Ich werde meinen Plan ändern müssen. Aber was und wie?
Ich werde bis Mitternacht eine Entscheidung treffen, mit dieser ins Bett gehen und sie morgen früh umsetzen.