Was bin ich froh, dass ich gestern soweit gekommen bin und heute nur noch 7 Kilometer auf meinem Tagesprogramm stehen. Die letzte Nacht hat deutlich Spuren hinterlassen, obgleich ein richtiger Brummkopf ausbleibt. Liegt vielleicht an der frischen Luft. Bei meinen großzügigen Nachbarn ist es noch still, Stian mit seiner Frau – das nette Norwegerpaar aus Tromsø (ausgesprochen: „Trumm-söö“, das „r“ angerollt, die erste Silbe kurz und schnell) packen ebenfalls. Ich verabschiede mich von Beiden und möchte mich bald auf dem Weg zum Sæta Camping machen
Gewitter angekündigt
Es zieht sich hier am Ende des Sjodalen ziemlich zu. Ich schaue mir die Vorhersage an und erfahre, dass in weniger als 3 Stunden ein Gewitter mit ordentlich Regen heranrückt bzw. dieses Gewitter im Tal entsteht. Es ist nämlich feuchtwarm und das Tal hoch und eng.

Beim Packen kommt noch ein netter Niederländer herbeigeeilt – ich hatte ihm gestern Abend ein Kabel geliehen. Er bringt es zurück und als wir uns am Koch- und Duschgebäude kurz darauf nochmals treffen und uns unterhalten, schenkt er mir noch 2 hartgekochte Eier. Er ist mit Freundin und Hund für 4 Wochen in Norwegen unterwegs und ist von diesem Land genauso begeistert wie ich. Jetzt gehe ich aber endlich los, denn bis zum Gewitter sind es nur noch 2 Stunden.
Das böse Rotkäppchen
Ich gehe also los und nutze die vielbefahrene E6 für die wenigen Kilometer. Es gibt einen schmalen Seitenstreifen, den ich nutze, ab und zu kann ich sogar hinter den Leitplanken entlanggehen. In dieser Streckenpassage ist das Tempolimit 60, bei Hindernissen (2 LKWS kommen sich entgegen oder ein Wanderer geht auf einer Seite beispielsweise) wird sogar Schritttempo gefahren. Warum ich dies erzähle?
Nach etwa 2 Kilometern trifft eine kleine Straße auf die E6. Dort steht eine Wandererin. Obwohl es noch gar nicht regnet, trägt sie bereits ihren roten Regenponcho, der auch über ihren Rucksack geht.
Sie kommt herüber und fragt ohne zu grüssen ganz platt – auf deutsch: „Sprichst du deutsch?“
Und ich Depp sage auch noch: „Ein wenig.“
Ich ahne bereits, dass sich unter diesem roten Poncho eine Menge Probleme angestaut haben. Warum ich denn nicht oben auf dem Berg den Olavsweg gehen würde, fragt sie. Was soll denn diese Frage? Ohne sich vorzustellen, ohne zu grüßen, mich in Norwegen auf gut Glück auf deutsch anzusprechen, eine Rechtfertigung zu erwarten, ohne zu wissen welchen Weg ich gehe und wohin ich möchte – was ist das für ein Mensch?
Ich gehe hier entlang, weil ich hier entlanggehen möchte, sage ich. Sie lächelt etwas, nun ja, benachteiligt und wird noch dreister. Hier, wo ich entlanggehe, kann man nicht entlanggehen, das sei zu gefährlich, sagt sie doch glatt.
Wen sie denn mit „man“ meint, frage ich. Sie wirkt irritiert und kapiert es wohl nur sehr zögerlich. Sicherheitshalber wiederhole ich wortwörtlich und ganz langsam meine Frage. Jetzt schnallt sie es und sagt, dass sie sich selbst damit meint.
Ich verstehe, sage ich. Wenn das so ist wie sie selbst sagt, nämlich, dass die Straße für sie zu gefährlich sei, dann könne sie wohl nicht an der Straße entlanggehen. Damit drehe ich mich bereits zum Weitergehen Richtung Straße ein.
Jetzt wird es bizarr. Sie fragt mich, ob sie mir hinterhergehen könne. Ich sage, dass sie doch gerade selbst erklärt habe, sie könne hier nicht entlanggehen. Wenn es doch auf dem Berg einen Weg gäbe, wäre das doch die bessere Wahl für sie, sage ich. Sie habe doch selbst von diesem Weg, dem Olavsweg, gesprochen.
Tja, der Weg dort oben wäre ja viel zu steil! Ha! Der Olavsweg und steil! Ha!
Nun gut, die Zeit drängt bzw das Gewitter. Und so sage ich, wenn sie mir folgen kann, dann kann sie mir folgen…
Dann sei ich jetzt das Kanonenfutter, sagt sie doch glatt! Dieses böse Rotkäppchen!
Ich bin nur ganz kurz sprachlos ob dieser Dreistigkeit. Doch erkenne ich dahinter ihre schwerwiegenden, psychischen Probleme. Sie versucht permanent, ihre eigenen Ängste auf andere Menschen zu projizieren in der verzweifelten Hoffnung, ihr Inneres Leid damit mindern zu können. In ihrem Mikrowahn erkennt sie gar nicht, dass Menschen unterschiedlich denken und empfinden, verschiedene Lebenseinstellungen besitzen. Diese Empathie ist bei ihr blockiert.
Ich bin jetzt auch empathielos und verpasse ihr eine Breitseite. Es gebe nur einen Menschen, der darüber bestimmt, wer oder was ich sei oder nicht sei. Und sie ist nicht diese Person! Ihre Ängste seien nicht meine Ängste, so gerne sie das auch hätte. Ob sie das verstanden habe, frage ich scharf.
Aus dem hässlichen Regenponcho kommt ein leichtes Nicken. Ganz überzeugt bin ich nicht, doch jetzt gebe ich Gummi. Es beginnt zu tröpfeln. Noch 4 km.
Ich gehe los und sie hinterher. Noch…
Nach einem Kilometer, den ich in weniger als 10 Minuten (!) gegangen bin und dabei teilweise bei vollem Tempo in der nassen Schräge neben der vollbefahrenen Straße gegangen bin, drehe ich mich kurz um: Keine Spur mehr vom bösen Rotkäppchen.
Zu Gast bei Bjørn
Ich komme beim Sæta Campung an. An der Rezeption klingel ich und direkt danach kommt Bjørn Sæta zu mir.

Wir unterhalten uns kurz, auch übers Angeln und das Gewitter. Es würde gleich losgehen, in 3 Stunden wäre aber Alles in Ordnung und ich könne es auf Forelle und Äsche hier direkt am Ufer vom Campingplatz probieren. Er überreicht mir noch mein Versorgungspaket. Ich stiefel hinüber zu meiner Hütte, als mir noch meine Gamaschen einfallen.

Ich frage nach, ob Stig von Ustedalsfjorden Overnatting oder ein Freund, meine Gamaschen vorbeigebracht hat. Nein, sagt er und ich bin überrascht. Mein Anruf bei Stig bleibt unbeantwortet. Bjørn Sæta will es später für mich nochmals versuchen.
Ich bin gerade in der Hütte und sortiere mein Depotpaket, da blitzt und donnert es los. Die Schleusen öffnen sich und durch den Regen kann ich kaum 10 Meter weit gucken. Wo sich das Rotkäppchen wohl gerade herumtreibt?
Wie von Bjørn vorhergesagt hört es 3 Stunden später auf. Ich koche etwas im gemeinschaftlichen Küchenraum, als Bjørn mit meinen Gamaschen zu mir kommt. Wow! Ich bin begeistert! Stig ist sofort nach Bjørns Anruf herübergerast und hat die Gamaschen vorbeigebracht. Unglaublich! Tusen takk, Stig!
Angeln mit defekter Rute
Nach dem Essen unterhalte ich mich mit ein paar norwegischen Fliegenfischern und lasse mir ihre erfolgreichsten Fliegen zeigen. Obwohl die Fische steigen, kämen die Bisse nur auf sinkende Köder, erzählen sie mir. Klingt merkwürdig. Das bedeutet jedoch für mich, dass ich meine tschechische Nymphentechnik probieren kann. Mit einem winzigen aufgezogenen Stück Wurm und nur einem 3gr Rollblei oberhalb des Vorfachs imitiere ich das Nymphenangeln der Fliegefischer. Ich werfe entgegen der Strömung aus und halte die Rute sofort so hoch wie nur möglich. Dann verfolge ich an stets straffer Schnur den Köder. Das Miniblei rollt über den Grund, das Stückchen Wurm flattert einige Zentimeter darüber hinterher. Ich spüre die Steine auf dem Flussboden. Die Bisse machen sich als leichtes Zittern bemerkbar, der Anhieb muss sofort danach erfolgen. Diese Technik funktioniert nur mit einer sehr feinen Rute und sehr dünner, widerstandsarmer Schnur/ Montage.
An einer Kiesbank gibt es nun bei jedem Wurf einen Biss. Innerhalb von einer Stunde habe ich 6 Bachforellen und 4 Äschen gefangen. Alleine die Größe bleibt bescheiden. Als der Wind stark zunimmt, ist es vorbei mit meiner Leichtgewichtsmethode.
Außerdem muss ich leider feststellen, dass mein Sturz auf dem Schneefeld zwischen Iungsdalshytta und Bjordalsbu nicht folgenlos geblieben ist. Meine Rute ist auf Höhe des Handteils im Inneren gebrochen. Beim letzten Auswurf werfe ich quasi die Angel in den Fluss und halte nur noch ein kurzes Rutenstück in der Hand.
Die Rute ist nicht zu reparieren und so werde ich Morgen einen kleinen Umweg über Otta nehmen, um in einem Sportgeschäft Ersatz zu finden.
Mein Nachbar
Als ich zu meiner Hütte zurückkehre, komme ich mit meinem niederländischen Nachbarn ins Gespräch. Er fährt mit seinem Motorrad durch Norwegen. Er ist noch eine ganze Weile unterwegs und das Cruisen durch diese Landschaften sei einfach fantastisch. Das glaube ich gerne, denn bereits im Auto ist es ein Riesenvergnügen durch Täler, Tunnel und über Berge vorbei an Seen zu fahren und nicht mehr aus dem Staunen herauszukommen.
Ich verabschiede mich, um mir noch zweimal Essen zu machen und lege mich anschließend schlafen.
Hey Sven,
Good to see that you are still going strong to the north.
only a small backlog in the travel reports ?.
Keep up the good spirit!
I think that „Das böse Rotkäppchen“ must have been a real troll.
Here a link to my Youtube channel.
https://www.youtube.com/watch?v=3ubMUUDh058&feature=youtu.be&t=1728
Best regards,
Cor.
dein niederländischen Nachbar am Sæta camping.