Ich bin gestern erst spät zur Ruhe gekommen und wache auf dem Campingplatz von Maristova erst um neun auf. Es regnet immer wieder, dann hört es auf, nur um kurz danach wieder anzufangen. Der günstige Moment zum Einpacken lässt noch auf sich warten und so schlafe ich nochmals ein.
Später Start
Um halb 12 wechselt der Regen in staubfeine Tröpfchen. Diese werden als yr bezeichnet – habe ich mir zumindest mal sagen lassen. Der meteorologische Wetterdienst Norwegens hat sich demnach gleich nach dieser typisch norwegischen Regenart benannt.

Um 13 Uhr beginnt mein Wandertag etwas spät – dafür gebe ich mir selbst die Sporen und galoppiere geradezu erst am Nedre Smeddalsvatnet und dann am Øvre Smeddalsvatnet vorbei. Die freudig aus dem Wasser springenden Forellen lenken mich nur kurz ab, ich trage jetzt Scheuklappen und fresse die Asphaltkilometer einfach auf. Hier bietet die E16 einen breiten Seitenstreifen, den ich gerne benutze. Vor Nystuen am Otrøvatnet geht die E16 dann durch den Filefjelltunnelen, um erst bei Tyinkrysset aus dem Berg hervorzutreten und um dann in südöstliche Richtung weiterzu verlaufen. Ich gehe direkt am See auf der 296 entlang, stetig aufwärts. Seit Maristova sind es wieder netto 200 Meter aufwärts. Durch die ständigen Aufs und Abs dürfte dürften die Aufwärtsmeter bereits jetzt ein Vielfaches dessen betragen.
Keinen Umweg – auch nicht für einen Burger
Vom höchsten Punkt oberhalb von Tyinkrysset schaue ich um 19 Uhr hinunter ins Zentrum und kann eine beleuchtete Tankstelle erkennen. Mein Magen meldet mir seinen Appetit auf einen Burger, meine Beine hingegen monieren den dafür nötigen Umweg. Ich müsste etwa 100 Höhenmeter absteigen und etwa 2 Km dorthingehen und schließlich wieder 100 Höhenmeter extra aufsteigen und zu meiner Route zurückkehren. Ich gebe dem Einwand meiner Beine statt und beschwichtige meinen Magen mit der Aussicht auf ein baldiges, sehr verspätetes Mittagessen.
Schon nach wenigen Kilometern kreuzt ein Bach die Straße und ich koche mir Bulgur Pilaw mit verschiedenen Gemüse.
Jetzt zieht sich der Weg Innerschweizer aufwärts zum Tyin, einem sehr großen Stausee auf 1080m Höhe.

Gespenstige Ruhe am Tyin

Am Südufer angekommen bietet sich mir ein faszinierendes Bild. Der See liegt völlig regungslos vor mir, die Berge links und rechts spiegeln sich auf der Oberfläche. Die gespenstige Szenerie wird durch lautlosen Nebel bestärkt, der sich wie ein sanfter Schleier auf den See niederlegt.

Ich wähle zur Umrundung die Ostseite und möchte noch etwa 10 weitere Kilometer schaffen. Auf dieser Uferseite ragt hin und wieder eine Landspitze in den Tyin.
„A few kilometers“
Es ist bereits 21 Uhr als sich ein Auto von hinten nähert. Zeitgleich steht eine Schafskuh mit ihren zwei Lämmern auf der Straße. Sie machen zur linken Seite Platz, ich zur rechten, als der Wagen sich zwischen uns schiebt und neben mir anhält. Er öffnet sein Fenster und bietet mir an, mich bis Tyinholmen am Nordende des Sees mitzunehmen. Ich bedanke mich für das Angebot, lehne ab und frage nach Zeltmöglichkeiten auf den nächsten Kilometern. Da kämen wirklich einige schöne Plätze für mich, „only a few kilometers ahead“.
Als nach „few Kilometers“ noch keine ebene und trockene Fläche zu erkennen ist, werde ich aufgrund meiner einsetzenden Müdigkeit weniger wählerisch. Die Mücken nutzen die Windstille, um mit mir verstärkt in Kontakt zu treten. Da kommt zur Seeseite ein verlassenes Haus, bereits etwas baufällig, einige Sträucher bieten Blickschutz zur Straße. Ich überlege nicht lange und möchte mein Zelt einige Meter daneben auf einem glatten, ebenen und trockenen Boden aufschlagen.
Loch im Zelt
Ich habe die 4 Ecken meines Zeltes mit Heringen fixiert und bin gerade dabei, den ersten Trekkingstock mit seiner Spitze nach oben in eine der beiden Ösen am Zeltdach zu stecken. Es beginnen aggressive Mückenattacken, ich fuchtel wild mit den Armen und Stelle schnell den Trekkingstock aufrecht – Ratschhhh!
Die Stockspitze springt aus der Öse bzw. dem Ring („grommet“), durchbohrt die Aussenhaut meines wunderschönen Zeltes und schaut jetzt aus dem Zelt nach außen. Es ist ein kleines Dreiecksloch im Ripstopmaterial entstanden, glücklicherweise an einer spannungsarmen Stelle gleich neben der Zeltspitze. Völlig verärgert über mich selbst baue ich weiter auf, packe den Rucksack unter die eine Apsidenseite und die Kochutensilien unter die andere. Ich hole rasch Wasser aus einem Bach nebenan, koche und lege mich unter meinen Quilt auf meine Isomatten.
Seitlich über mir kann ich nun auf dem Rücken liegend mein Tageswerk bewundern – das kleine Loch in meinem Zelt. Und während ich darüber nachdenke, wie ich es reparieren kann, schließe ich meine Augen nach reichlich vielen Tageskilometern und schlafe irgendwann ein.