Ich verlasse wehmütig die schöne Bjordalsbu Hütte. Heute soll es zunächst Richtung Breistølen Hütte gehen. Von dort biege ich dann westlich ab.
Angenehme Schneefelder
Schon früh bin ich unterwegs und gespannt, ob heute wieder ein Tag mit vielen Schneefeldern ansteht. Zunächst passiere ich den Graveggi (1693m) auf seiner westlichen Seite. Die ersten Schneefelder kann ich viel besser und leichter überqueren als gestern.

Sie verlaufen nicht sehr schräg am Hang. Vor allem aber sind sie heute morgen noch hart, die Oberfläche über Nacht angefroren. So kann ich schnell und bequem darüberlaufen. Auch die Ränder sind leicht zu betreten – es besteht so früh am Morgen noch keine Einsturzgefahr.
Wo sind eigentlich meine Gamaschen?
Und wie ich so über das eine und andere Schneefeld laufe, stelle ich fest, dass ich gar keine Gamaschen trage. Seit Geilo habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich brauche sie zwar aktuell nicht und vermisst hatte ich sie bislang auch nicht. Doch für die Sumpfgebiete in einigen Wochen wie auch bei Starkregen sind sie ein sehr wichtiger Baustein in meinem Bekleidungssystem. Ich gehe gedanklich die Tage durch bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich sie letztmalig in meinen Händen hielt: In Geilo. Wahrscheinlich habe ich sie im Trockenraum der Ustedalsfjorden Overnatting vergessen. Aktuell habe ich keinen Empfang, also werde ich die Nachricht später an Bjørnhild und Stig schicken.
Durch ungemütliche Blockfelder
Dafür erreiche ich nun große und lange Blockfelder. Hier muss jeder Schritt sitzen. Durch dieses Steinlabyrinth sind DNT- Markierungen gesetzt. Sie dienen mir allenfalls als Orientierung, einen leichteren oder bequemeren Weg gibt es dadurch nicht.
Nach einigen Kilometern endet ein großes Blockfeld, bevor nach einer kleinen Furt ein neues beginnt. Dieses von-Stein-zu-Stein-Hüpfen ist mental ermüdend. Jeder Schritt muss sitzen und die nächsten ein bis Schritte habe ich mir währenddessen bereits überlegt. Meine Muskeln und Sehnen werden nun sehr stark beansprucht, bis schließlich hinter dem Starsjøen wieder ein echter Wanderweg beginnt.

Abstieg
Von nun an steuere ich talwärts Richtung Stardalen. Auf diesen Kilometern geht es von 1400m auf 1000m kräftig nach unten und der Breistølen Hütte entgegen.

Die liegt im querverlaufenden Mørkedalen, dem ich nach einer Pause und Schuhwechsel nach Borlaug hinab weiter folge. Die letzten drei Kilometer nach Borlaug gehe ich nicht entlang der 52, sondern nutze einen schnurgeraden, etwas zugewachsenen Wanderweg zwischen Bergstølen und Svingen. Mit nur noch 500 m erreiche ich in Borlaug den niedrigsten Punkt für heute. Hier ist es warm, die Vegetation viel weiter und die Insekten inklusive Mücken aktiv.


Routenänderung
Ich habe meine Planungsroute damit verlassen, umlaufe in einem Bogen eine direktere Linie über die Sulebu-Hütte. Insgesamt sind es wohl 4 oder 5 Kilometer mehr, dafür komme ich wesentlich schneller voran. Somit dürfte ich den Umweg in 2 bis 3 Stunden kompensiert haben und insgesamt einen halben, vielleicht sogar ganzen Tag mit dieser und der nächsten Etappe aufholen. Aufholen?
Jelle ist etwa einen halben bis ganzen Tag vor mir und ich versuche ihn dadurch einzuholen, damit wir endlich unsere Bierverabredung schaffen.
Die E16 verläuft ab Borlaug durch den gleichnamigen Tunnel und tritt vor Maristova wieder aus dem Berg hervor. Ich nutze die alte, stillgelegte Straße entlang der Smeddalselvi und komme an kleinen Höfen vorbei.

Die Straße gehört mir in den nächsten Stunden ganz allein. Der Weg zieht sich nun wieder hoch auf 800m in Maristova.

Maristova und Lebenszeichen von meinen Gamaschen
Ziemlich ermattet erreiche ich hier einen Campingplatz. Ich bin der einzige Gast mit Zelt und habe Duschen, Sanitäreinrichtungen und Küche für mich allein. Nach dem späten Abendessen und einer dringend nötigen Dusche ist mein Tag beendet.
Zum Schluss sende ich noch eine Direktnachricht an Ustedalsfjorden Overnatting und schon wenige Minuten später bekomme ich die Bestätigung: Ich habe meine Gamaschen tatsächlich dort vergessen. Ob sie mit der Post wohl bis Sonntag bei meinem nächsten Depot seien, frage ich – also sicherheitshalber bereits Freitag/ Samstag. Alles kein Problem, ein Freund von ihnen fährt am Mittwoch nach Otta und kann die Gamaschen bei Bjørn Sæta abgeben, den Stig zufälligerweise auch kennt. Er ist nämlich in Sjoa (7km entfernt) aufgewachsen. Was für ein Glück. Mit dieser guten Nachricht schlafe ich ein.