Der Tag beginnt mit Sonnenschein am Morgen. Ich wache früh auf in der Gästehütte von Familie Eggen. Ich solle einfach ins Haus kommen, wenn ich wach sei, hieß es gestern lediglich – aber nicht vor 7 Uhr.
Ich frühstücke, packe ein und gehe um halb neun rüber. Hennings Frau und Sohn sind gerade dabei loszufahren. Ich verabschiede mich noch von beiden, danach gehe ich ins Bad von Familie Eggen.
Hennings soziales Engagement
Ich setze mich zu Henning an den Küchentisch. Das Haus ist bereits 250 Jahre alt und ganz aus Holz. Es ist urig eingerichtet und die dunklen dicken Holzbalken verbreiten diese norwegisch-hyggelige Atmosphäre. In 2 Wochen zieht er mit seiner Familie und seinen Tieren auf seinen abgeschiedenen alten Hof auf der Alm. Ohne Elektrizität und fließend Wasser wollen sie den Sommer auf dem 400 Jahre alten Almhof verbringen. Er lächelt dabei ganz zufrieden.
Dann kommen auch gehandicapte Kinder und Jugendliche zu Besuch, denen er seit Jahren für 2 Wochen im Sommer die Natur näherbringt und damit auch die jungen Menschen näher zu sich selbst. Reiten, Bootstouren, Rafting und Wandern stehen auf dem Programm.
Vor Jahren hat er 22 heroinabhängige junge Menschen mit nach oben genommen. 19 von ihnen sind seither clean, erzählt er mir voller Freude und ist natürlich auch stolz darauf. Er könne die Hilfe nur anbieten, die Menschen müssten den Weg aber selber gehen, sich selbst erkennen und selber lernen. Moderne Pädagogik mit Erfolg praktiziert, frei von Urteilen – hier am Rande des Hallingskarvet.
Hennings Routenempfehlung
Bevor ich aufbreche unterhalten wir uns noch noch über meine Routenplanung. Diese hat sich ohnehin schon geändert. Henning empfiehlt mir, bis Storestølen zu gehen und dort hinüber zur Iungsdalshytta, indem ich hinauf auf die Flyane wandere, das Gebiet zwischen Hallingskarvet Nationalpark und Reineskarvet. In der Fjellstue von Storestølen am Standavatnet solle ich Thure fragen, wie die Schneeverhältnisse rund um die Iungsdalshytta sind bzw. am Djupvatnet. Es ist wohl regelmäßig so, dass die Begehung des steilen Uferweges um den Stolsnuten- Berg noch im Sommer durch große Schneefelder erschwert wird.
Erst Sonne, dann Regen und später Hagel

Vorbei am Sudndalsforden komme ich durch Myrland und wandere danach am Strandavatnet entlang.

Einige Kilometer vor Storestølen mache ich Mittagspause am See und liege unter meinem Tarp. Es ist sonnig warm, als der Wind spürbar auffrischt. Ich blicke über den großen See hinüber zum Hallingskarvet-Gebirgszug. Tiefdunkle Wolken sind im Anmarsch – genau in meine Richtung!

Ich packe zusammen und ziehe die volle Regenmontur an. Keine 10 Minuten später beginnt das Spektakel. Der Regen prasselt nieder, im Nu fließt das Wasser in Wellen über die Straße. Ich habe meinen Schirm aufgespannt und genieße diesen Komfort.
Doch dann nimmt der Wind zu und ich muss den Schirm schließen. Nicht nur das. Statt Regen sind es nun dicke Hagelkörner, die von Himmel knallen. Ganz schön laut unter der Kapuze denke ich noch, als der Wind die Hagelkörner horizontal in mein Gesicht schleudert.
Ich muss beizeiten recherchieren, ob diese Form des Hautpeelings bereits von der Beautyindustrie entdeckt und vermarktet wird. Eine schmerzhaft erfrischende Erfahrung. Mir wird das Peeling nun zu stark und schließe alle Schoten, ziehe mein Buff über die Nasenspitze. Ich trage meine Gummihandschuhe, bin also vollständig vermummt.
Kaffeepause in der Storestølen Fjellstue
Das Hagelspektakel dauert nur 20 Minuten. Wenig später erreiche ich die Fjellstue in Storestølen und klingel dort, es ist doch wohl nicht geschlossen?
Thure sei nicht da, erklärt man mir. Sie komme aber bald. Ich genehmige mir einen wirklich guten Kaffe bei toller Aussicht im Restaurant.

Es ist bereits nach 18 Uhr und ich überlege, ob es noch Sinn macht, den Aufstieg zu wagen. Bis zur Iungsdalshytta ist es viel zu weit. Mein Plan ist es, irgendwo an einem See in der Flyane zu zelten.
Als Thure kommt, ist sie auch ratlos, was die Schneeverhältnisse angeht. Sie telefoniert und weiß zu berichten, dass es hier und da noch Schnee gäbe, aber es sei gut zu wandern.
Hier oben Zelten – ohne mich!
Ich breche auf und es geht direkt 200 Meter steil hoch. Der Ausblick ist klasse und ich bin froh, weitergewandert zu sein. Danach zieht es sich aber enorm hin, das Wetter wird zunehmend schlechter. Der Wind ist kalt, nur noch um die Null Grad denke ich. Die Bestätigung folgt prompt in Form von Schneefall!
Bei starkem Wind und Schneefall möchte ich nun nicht mehr hier oben zelten. Doch der Weg ist noch weit und es wird immer später.

Ich furte die Flyåni, über die offenen Flächen bläst der Wind erbarmungslos.

Der Nedre Flyvatnet ist noch vollständig zugefroren – hier wollte ich eigentlich übernachten!
Mittlerweile blinkt mein eigener Akku rot, hinter einem dicken Stein finde ich Windschutz, setze mein Tarp und koche Essen.

Mit neuer Energie geht es weiter. Es ist mittlerweile halb elf Uhr und schließlich geht es über Bretter durch sumpfiges Gebiet bergab. Auch die Bretter verschwinden bereits teilweise im Wasser.

Schließlich kann ich wählen, ob ich östlich nochmal steil bergauf zwischen Grevskardnuten (1555m) und Skorpa (1668m) hindurchsteige oder weiter abwärts an der Stolsåne entlang hinunter an den Djupsvatnet gehe. Ich sehe oben große Schneefelder und ein Durchstieg ergibt keinen Sinn, da ich es ohnehin nicht bis zur Iungsdalshytta schaffen kann. Es sei denn, ich würde bis 3 Uhr nachts weiterwandern wollen.
Möchte ich aber nicht, sondern innerhalb der nächsten Stunde irgendwo unten am See, an dem auch ein Schotterweg verläuft, mein Zelt aufschlagen und endlich schlafen.
Um halb 12 erreiche ich festen Boden. Nur ein Zeltplatz ist auch hier nicht zu finden! Das gibt es doch nicht. Und der Weg endet in 500 Metern, danach geht es im schrägen Gelände um den Stolsnuten-Berg herum.
Ole, der freundliche Riese
Kurz bevor der Schotterweg endet sehe ich nur ein paar hundert Meter entfernt Licht in einem größeren Gebäude brennen. Als ich aber näher komme, geht das Licht aus. Da erkenne ich eine Person schräg den Hang hochgehen. Jetzt hat er mich auch gesehen, denn er bleibt stehen und kommt wieder zurück. Ein Riese, etwa 2 Meter groß und von breiter Statur. Er trägt Gummistiefel und Overall, dazu eine Mütze.
Als ich ihn erreiche, lächelt er ganz spitzbübisch und fragt nach meinem Weg. Fast gleichzeitig streckt er mir seine Riesentatze herzlich entgegen und stellt sich als Ole vor. Er hat noch den Dieselgenerator angeworfen, weil seine Kinder oben in der Hütte am Hang etwas Licht zum Spielen benötigen. Der Generator steht im Keller, unter seinem großen Ziegenstall. Dort brannte vorhin noch das Licht und er zeigt mir voller Stolz seine lieben Stinker – 70 Ziegen.
Bevor ich frage oder etwas sage, bietet er mir an, auf einem alten Sofa im Keller übernachten zu können. Ich glaube, ich habe bereits ja gesagt, bevor Ole ausgesprochen hatte. Vorbei am Dieselgenerator gibt es dahinter noch einen Raum mit Gerümpel – und einem Sofa.
Er sagt fast entschuldigend, dass der laute Generator nebenan noch eine halbe Stunde laufe, dann würde er ihn abstellen. Kein Problem sage ich, bei dem Brummgeräusch schlafe ich bestimmt gut ein.
Und leider würde er um 6 Uhr den Generator wieder einschalten, weil er dann die Ziegen melken müsse, also in weniger als 6 Stunden. Alles gut, sage ich und wir wünschen uns eine gute Nacht.